Konzerte:
TRICKY live in der Großen Freiheit, Hamburg - 5.7.1999
Der Meister lädt ein zur Werkschau, ganz im Sinne der aktuellen „Juxtapose" (dt.: nebeneinanderstellen) als Tour de Force durch vier Alben. Dabei gelingt der Balanceakt zwischen Elektonik und klassischer Bandbesetzung überzeugender und massiver als bei den ehemaligen Mitstreitern aus Bristol. Doch immer wenn gerade ein paar Erwartungen erfüllt wurden, bricht Tricky mit dem bisherigen Konzept und kümmert sich kein bißchen darum, was das Publikum dabei denkt - die Hälfte des Konzertes sehen wir sowieso nur seinen Rücken, bekommen dafür aber wieder einmal Facetten seiner (und als unser Alter Ego auch unserer) Psyche vorgeknallt, und die ist nun einmal wiedersprüchlich und voller Brüche. Doch manchmal werden hier Offenbarungen mit Banalem verwechselt, etwa um zu beweisen, daß auch Tricky einen konventionellen Rocksong schreiben kann oder, mit Hilfe vom Rapkollegen Mad Dog, daß wir eigentlich doch alle Amis sind und das „Tr" bei der Genrebezeichnung im Vereinigten Königreich nur ein T(r)ippfehler war... Immerhin folgen auf die kontrollierte Stringenz von „Christiansands" plötzlich viertelstündige Impros, die sich an Stücken der „Angels..." orientieren, während „Overcome" und Artverwandtes original wie von CD klingen. Dabei ist Tricky immer präsent; selbst wenn er - wie bei „Ponderosa" - den Gesangsteil völlig Martine überläßt und nur im Hintergrund bleibt, bleibt immer klar, daß es hier um sein Werk geht. Nur die Zugaben sind ein Eingeständnis an die Band (und nochmals Mad Dog) - hier dürfen sie rumjammen, Tricky und Martine bleiben dem ganzen fern. Tschüß, Licht an, zurück in die Realität.
„Die Verdammten dieser Erde" FUN^DA^MENTAL 11.5. - Hamburg, Docks
Vielleicht lag es am miesen Sound oder am mangelnden
Interesse (30 Gäste gehen in den riesigen Docks schnell unter ...),
wahrscheinlich aber eher an der Radikalität der Ausdrucksformen, daß
FUN^DA^MENTAL zumindest live mehr an die 70er-Industrialschocker THROBBING
GRISTLE erinnern als an Polit-Hip Hop wie PUBLIC ENEMY oder CONSOLIDATED.
Es gibt keine Kompromisse an Hörgewohnheiten oder Publikumserwartungen,
deshalb auch kaum Songs von „Seize The Time", stattdessen baut die mit
Tablas, Didge, Baß und einem mir unbekannten indischen Instrument
verstärkte Liveversion der Agit-Proper Fragmente von „Erotic Terrorism"
zu einer Performance zusammen, zu der Frantz Fanon das Drehbuch geschrieben
haben könnte und die nur ein einziges Ziel hat: die Anklage des westlichen
Rassismus und Kolonialismus. Dazu wird auch auf die MARLEYsche „War"-Adaption
von H. I. M. Selassie I's Rede 1968 in Kalifornien zurückgegriffen,
bei der sich der Sänger symbolisch erhängt. Krasser Schnitt:
Ein ca. 45jähriger Musiker intoniert mit Gesang und dem erwähnten
Instrument eine Lobpreisung Allahs. Noch ein Schnitt: Stakkatobeats und
-loops, ein Aufschrei der Unterdrückten, der Keyboarder schlägt
sich immer wieder auf den Schädel. Schließlich der Anfangssample
von „Dog Tribe", primitive Drohgebärden eines rassistischen Arschlochs,
zu dem FUN^DA^MENTAL ein Statement zum Wahlerfolg der DVU in Sachsen-Anhalt
rüberbringen, bevor quasi als „Enough Is Enough"-Manifest der Track
mit unglaublicher Aggressivität und Intensität kommt und allen
gezeigt wird, daß sie es verdammt ernst meinen. I'm not afraid to
die, 'gee'.
EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN am 21.5.00 im Schlachthof, Bremen
„Ende gut, alles gut" Blixa Bargeld ist nicht
mehr sehr sexy (von der fehlenden erotischen Ausstrahlung der Computertüftler
Funkstörung im Vorprogramm ganz zu schweigen, das hatte die Originalität
von Porno-Sites im Internet…), und zu Anfang kommt er ganz schön arrogant
rüber - Künstler halt, das weiß inzwischen jeder Lokalfeuilleton-Schreiberling.
Doch nach der Lungenkrebshymne „Silence is sexy" und dem antideutschen
Viva-Beitrag „Sabrina" springt der Funke über, es entwickeln sich
nette Dialoge („Blixa, mach dich nackig!", später dann das überzeugte
„Anziehen!" ob der blanken, nicht mehr allzu schlanken Brust von Alex Hacke…),
die mit einem Best of der letzten Veröffentlichungen belohnt werden:
„Die Interimsliebenden", „NNNAAAMMM" und „Haus der Lüge" am Stück.
Ohne nostalgisch werden zu wollen: Die Neue Stille funktioniert trotz einiger
schöner Momente („Beauty/Die Befindlichkeit des Landes") an heimischen
Lautsprechern besser, und die alte Intensität wird erst eine gute
Stunde später mit „Redukt" erreicht, dann ist aber schon erst mal
Schluß. Als Zugaben Heliumimprovisation und schließlich „Ende
Neu", doch dann gehts noch mal weiter, nach „Headcleaner" (mit Tinitusgarantie)
allerdings nicht mehr: Die Köpfe sind gewaschen, die Ohren auch, und
die Neubauten haben bewiesen, daß sie trotz zeitweiligem Anbändeln
an Cave'schen Pathos den Krach noch nicht verlernt haben.
ELLIOTT SHARPs CARBON live im KITO, Bremen 23.10.96
CARBONs Lineup spricht für sich: Neben Drums
und Baß die Vertreterin der „Radical Jewish Culture",Zeena Parkins,
an der E-Harfe sowie Großmeister Elliott himself am Doppeldecker
aus Gitarre und Baß, die er zeitweilig gleichzeitig bedient... New
York Free Noise und Avantjazz also, wenn der etwas rockige Opener ihres
Sets vielleicht auch eher als Kompromiß an die anwesende intellektuelle
Mittelklasse entschuldigt werden kann. Denn danach gehts richtig zur Sache,
und CARBON grooven, was das Zeug hält, ob nun bei maschinell-rhythmischen
Tracks wie die aus der „Monster Curve"-Zeit oder beim (für SHARPsche
Dimensionen zumindest) balladesken „Twisted Threads", das natürlich
niemals wirklich eingängig wird, sondern mit Assoziationen an vertraute
Klänge spielt, um alles Vertraute dann gleich wieder zu zerstören.
Logische Fortsetzung ist dann auch ein Hardcore-inspiriertes Stück.
Bei der zweiten Hälfte haben sie sich dann warm gespielt, sellbst
Marc Sloan scheint aufgewacht und zaubert ambient - wabernden Low- Frequency-Noise
aus seinem fretless Baß. Gerade die Stücke ihrer neuen „Interference"-
CD sind deutlich verspielter, durch verstärkten Einsatz von Samples
und Loops aber auch abgefahrener als sonst. Gerade durch die Ausstrahlung
und Experimentierfreude besonders von Zeena Parkins ist CARBON live kaum
mit Studioaufnahmen vergleichbar - einziger Nachteil: Du triffst mehr Alt68er
LehrerInnen und „Jatzer" als zu Hause...
PET SHOP BOYS am 4.2.00 im PIER 2, Bremen „DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS"
Es ist doch schön, wenn es noch ein paar
Dinge gibt, auf die mensch sich verlassen kann - Pet Shop Boys gehören
definitiv dazu. Sie bieten live fast 2 Stunden perfekte Inszenierung des
absoluten Durchschnitts, und das Publikum wird fester Bestandteil der Performance.
Wenn Neil Tennant, dessen verunglückte Punk-Perücke sich nicht
entscheiden kann, eher nach Johnny Rotten oder nach Rod Stewart auszusehen
(Chris Lowes Dreads sehen dagegen echt süß aus), etwa „We were
never being boring" intoniert, klatschen tausende Mittvierziger, größtenteils
Versicherungsvertreter, die früher mal auf „West End Girls" abgefahren
sind und seitdem jedes Pet Shop Boys-Lied gut finden, weil es genauso klingt,
brav auf jeden vollen Takt mit - what have I done to deserve this? Da sage
noch mal jemand, Pop sei affirmativ; immerhin gibt es für die Tänzer
schicke Matrosenanzüge, ein Zugeständnis an die gay community,
aber erst nach der 20-minütigen Pause offen schwule Ästhetik
im Video zum überraschend technoiden „Young Offender". Ansonsten ein
kollektiver Traum vom Glück und Geld, ein bißchen Medienschelte,
eine Akustikgitarre und ein paar Takte von „I will survive" bei „It's A
Sin" - und dann gute Nacht, es ist schließlich Friday night.
releases:
ram
nam satya hai - eighty
percent of nothing - cITY.cRIME.cONTROL.
- in
statu nascendi - traumpfad
- a travelogue in three acts -
worminside
- the libyan tapes
/ to loop a loop - prisonblood
(murder 1, 2, 3) - triptych
1: may all rapists be happy - triptych
2: skarz
NEW!
the patricide
ep - punish
the guilty - '.blackbox.'
label activities: m. nomized - origami vs. manipura
interactive discography: releases
products: list - 2nd hand - live archives
texts (german only): cd/lp/7" reviews a-l m-r s-z - interviews - gigs - hörspiele